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Auch wir leben hier

Text

Simona Sala, AZIONE

Erschienen

03.04.2023

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Im Gespräch mit Angela Zumbrunn, Leiterin des Programms «ici. gemeinsam hier.» von Migros-Engagement

Hier leben wir und hier werden wir bleiben. Hier findet das Leben statt und hier kann sich die Zukunft entwickeln. So könnte man in etwa das Leitmotiv der Initiative «ici. gemeinsam hier.» zusammenfassen.

Das Förderprogramm ist eine  Initiative von Migros-Engagement, der Stiftung für Sprach- und Bildungsförderung SSUB in Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Migrationskommission EKM, der Konferenz der Integrationsdelegierten (KID), der Schweizerischen Konferenz der Fachstellen für Integration KoFI sowie der Tripartiten Konferenz TK. Entwickelt und umgesetzt wird es von Migros-Engagement, das sich jährlich mit 150 Millionen Franken für die Gesellschaft engagiert. 

Die Migros-Gruppe, als grösste private Arbeitgeberin der Schweiz,  beschäftigte 2022 durchschnittlich ' 97'727  Mitarbeitende aus rund 170 verschiedenen Nationen. Das widerspiegelt die kulturelle Vielfalt der Schweiz. Das neue Förderprogramm «ici. gemeinsam hier.» setzt sich für die Vielfalt in der Gesellschaft ein.
Momente der Begegnung erleben, sich verstehen und wertschätzen, gemeinsam wachsen und selbst einen wertvollen Beitrag zu einer solidarischeren Gesellschaft leisten: Das ist das Ziel von «ici. gemeinsam hier.». Es unterstützt Menschen, die sich freiwillig für den Zusammenhalt und ein chancengleiches Zusammenleben in der Schweiz engagieren.

Die erste Ausschreibung des Programms im Herbst 2021 war ein grosser Erfolg: 233 Projekteingaben aus der ganzen Schweiz gingen ein, 92 Projekte wurden ausgewählt und über einen Zeitraum von zwei Jahren mit insgesamt 1,1 Millionen Franken unterstützt – sowohl finanziell als auch fachlich. Im Juni 2022 trafen sich 80 Projektvertreterinnen und -vertreter aus der ganzen Schweiz an der ersten Netzwerk-Veranstaltung. So konnten die Menschen hinter den von «ici. gemeinsam hier.» geförderten Projekten sich kennenlernen, einander unterstützen und Know-how austauschen. Die Tagung war sehr erfolgreich und leistete einen Beitrag dazu, das gesellschaftliche Zusammenleben zu stärken. Migros-Engagement lädt die Projekte deshalb ein zweites Mal zum Treffen ein.

Angela Zumbrunn, welchen «Background» bringen Sie mit, um die wichtigen sozialen Herausforderungen anzupacken? 

Ich wurde in Sri Lanka geboren und als kleines Kind adoptiert. Ich bin also in einem Schweizer Haushalt aufgewachsen und wurde hier ausgebildet. In diesem Sinne ist mein Background nicht mit einem Migrationshintergrund vergleichbar. Dennoch verbindet mich meine Erfahrung als «coloured person» mit Personen mit Migrationshintergrund. Als ich anfing, die Welt zu bereisen und unabhängiger zu werden, wurde ich mir der Reaktionen der Gesellschaft auf Menschen, die von der Norm abweichen, immer bewusster. Deshalb begann ich, darüber nachzudenken, was ich im Alltag gegen die Diskriminierung tun kann. Eines meiner Hauptziele ist es, mit Vorurteilen aufzuräumen, die es so gut wie überall gibt.

Wie sieht Ihr Werdegang aus?

Ich habe in Bern und London Sozialanthropologie studiert. Nach dem Studium habe ich im Generalkonsulat in New York ein Praktikum im kulturellen Bereich absolviert: Meine Aufgabe war es, von Pro Helvetia unterstützte Künstlerinnen und Künstler zu begleiten. Anschliessend habe ich im Bundesamt für Migration gearbeitet, dem heutigen Staatssekretariat für Migration (SEM). Dort war ich für den Bereich Politisches Asyl zuständig und habe mich mit dem Schicksal geflüchteter Personen befasst. Nach mehr als zehn Jahren Erfahrung in der eidgenössischen und kantonalen Verwaltung verspürte ich jedoch den Wunsch nach einer Arbeit, die zwar den Bereich Migration betrifft, mir aber mehr Gestaltungsspielraum lässt. Bei Migros-Engagement habe ich genau das gefunden – und zudem gemerkt, dass ich hier viel bewegen kann. Darüber hinaus weiss ich den tieferen Sinn des Projekts, an dem ich hier arbeite, sehr zu schätzen. 

Welche Aspekte Ihrer Berufs- und Lebenserfahrung können Sie in diese neue Tätigkeit einbringen?

Ich bin mir bewusst, dass mein Lebensweg nicht im Entferntesten mit dem Leben von Menschen vergleichbar ist, die gezwungen sind, ihr Land zu verlassen – denn ich bin hier aufgewachsen und habe eine Schweizer Ausbildung. Mir ist jedoch klar geworden, wie viel Glück ich hatte. Deshalb möchte ich denjenigen, die solche Privilegien nicht haben, gern etwas zurückgeben. Das Projekt, das ich für Migros-Engagement betreue, dreht sich um die soziale Integration. Wir befassen uns nicht mit der Arbeitsintegration, denn das ist Aufgabe der Kantone. An «ici. gemeinsam hier.» sind viele Institutionen beteiligt. So können wir vermeiden, dass sich die Angebote überschneiden. Was wir den zugewanderten Personen anbieten, ist der Zugang zur Gesellschaft, unabhängig von ihrem rechtlichen Status. Dieser Aspekt macht «ici. gemeinsam hier.» aus.

Konnten Sie Ihre Erfahrungen in das neue Projekt einbringen?

Ich kann viele persönliche Erfahrungen einbringen. Für mich ist es sehr wichtig, Barrieren für den Zugang zum Programm abzubauen. Deshalb haben wir den Prozess und die Formulare vereinfacht und dafür gesorgt, dass die Ausschreibung in sage und schreibe 17 verschiedenen Sprachen verfügbar ist – von Kroatisch über Tigrinya, Türkisch, Ukrainisch bis zu Arabisch. Wir hoffen, auf diese Weise noch mehr Personen zu erreichen. Ich finde es wichtig, Menschen sichtbar zu machen, die sonst kaum gesehen und gehört werden.

Können Sie uns ein gelungenes Beispiel aus der ersten Ausschreibung von «ici. gemeinsam hier.» nennen?

Ich finde die Arbeit der Integrationsbrücke Bern sehr schön: Fahrad, ein syrisch-kurdischer Flüchtling, der 2015 mit seinem Bruder in die Schweiz gekommen ist, arbeitet dort. Fahrad hat in kürzester Zeit Deutsch gelernt und bietet seinen Landsleuten kostenlos an, sie zu Institutionen und verschiedenen Ämtern zu begleiten. Er gibt also sein Wissen und seine Erfahrung weiter. Dank der finanziellen Unterstützung von Migros-Engagement kann die Integrationsbrücke Bern zumindest die laufenden Kosten decken – und Fahrad kann noch mehr Menschen erreichen und ihnen helfen. Das erleben wir immer wieder: Viele Menschen mit Migrationshintergrund engagieren sich und teilen ihre Erfahrungen, um anderen die Integration hierzulande zu erleichtern. 

Was wünschen Sie sich für unsere Gesellschaft? 

Ich wünsche mir, dass alle Menschen, die in der Schweiz leben, mit den gleichen Rechten am Aufbau der Gesellschaft teilnehmen können. Zudem würde es mir gefallen, wenn es im öffentlichen Leben, zum Beispiel in den Medien und in der Politik, mehr Menschen gäbe, die sich verschiedenen kulturellen Identitäten zugehörig fühlen. Das ist es, was ich mir für die Schweiz vorstelle. An meiner Arbeit liebe ich, dass ich dabei etwas tun kann, das mir persönlich sehr viel bedeutet und von dem ich hoffe, dass es Früchte tragen wird.

Foto: Marco Zanoni

Angela Zumbrunn

Verantwortlich für die Auswahl der geförderten Projekte und Kuratorin der wichtigen Initiative ist Angela Zumbrunn. Nach zahlreichen bereichernden Arbeitserfahrungen in verschiedenen Institutionen in der Schweiz und im Ausland schätzt sie an ihrer neuen Aufgabe besonders die Möglichkeit, sich einzubringen und mit der kreativen Seite der Projekte in Kontakt zu treten. Wir trafen die Projektleiterin in den hellen Räumen der ehemaligen Löwenbräu-Brauerei in Zürich, dem Sitz der Direktion Gesellschaft & Kultur des Migros-Genossenschafts-Bundes. Diese bildet das Kompetenzzentrum des gesellschaftlichen Engagement der Migros.